Castrop-Rauxel, Bildungscampus Widumer-Tor, Marcel-Callo-Haus (2023)

 

Titel: Ent-Faltung 

 

Gestaltungsidee (2023)

 

Der Entwurf versteht sich als ergänzendes Element im Gesamtensemble der 2021 konzipierten Kunstglasfenster für das Marcel-Callo-Haus.

 

Während die Figur der EU60 Origami Taube Grundlage des bereits 2022 realisierten Fensterentwurfs ist, bildet ein im Origami Stil [1] gefaltetes griechisches Kreuz das Fundament für das Westfenster zur Schillerstraße. Die ornamentale Struktur zeichnet die Faltungen ebenfalls nach (siehe Text unten: Skizzierte Gedanken der Gestaltungsidee von 2020). Im Origami wird auf einen Punkt gefaltet. Farbige Kreisformen im Randbereich stellen die visualisierten Ausgangspunkte dar. Deren Pendants zeigen an, wo die mit den ersten Punkten bezeichneten Stellen zu liegen kommen.

 

Taube und Kreuz überlagern sich sinnbildlich im Licht. Zusammen wird ein musterbildendes System geschaffen. Pax et bonum ist die Inspiration. Der Segensspruch geht zurück auf Franz von Assisi, der damit ausdrücken wollte: „Mögest du in Frieden leben, versöhnt mit dir selbst, mit den deinen und der Welt. Mögest du heil sein oder werden, nicht verwundet noch verletzt, angstfrei und geborgen.“ [2] Im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Heil. Das Segenswort findet sich auf dem Jahresstein am Marcel-Callo-Haus wieder und durchdringt symbolhaft auch in ganz eigenständiger Weise die als Paar gedachte Fenstergestaltung.

So wie die Figur der Taube ist auch die Figur des Kreuzes mentales Vorstellungsbild. Die Fensterbilder zeigen Abfolgen, die unvollkommen und erst noch im Entstehen sind. Dadurch symbolisieren sie etwas Zukünftiges. Auch der Friede ist nie vollkommen und braucht immer wieder neue Anstöße, muss immer wieder neu eingeübt werden. Die Bilder können natürlich auch losgelöst von dem symbolischen Hintergrund betrachtet werden.

 

Die Umsetzung erfolgt ähnlich wie beim bestehenden Ostfenster. Die beiden Ansichtsseiten werden differenziert herausgearbeitet, sodass die unterschiedlichen Gestaltungseben ihre klare und heitere Wirkung sowohl im Innenraum als auch nach Außen hin zeigen. Die opalisierende erste Ebene schließt das Fenster nicht hermetisch ab. Die Außenwelt wird Teil des Bildes. Reine Transparenz zeigt sich in partiellen offeneren Bereichen und in einer großen Dreiecksform. Sie erinnert an eine umgefaltete Papierecke. In der Außenansicht wird dadurch ein Viertel der Fensterfläche besonders hervorgehoben und so auch Bezug auf die architektonische Gliederung der übrigen Fenster der Westfassade genommen.

 

Anmerkungen

[1] Das Origami (japanisch von oru für „falten“ und kami für „Papier“) ist die Kunst des Papierfaltens. Ausgehend von einem zumeist quadratischen Blatt Papier entstehen durch Falten zwei- oder dreidimensionale Objekte wie Tiere, […] und geometrische Körper. Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Origami. 17. Juli 2023 00:28:06 GMT

[2] Vgl.: https://gesabartholomae.com/2018/11/19/pax-etbonum/. 13. Juli 2023 23:34:32 GMT

 

Innenansicht - Frontal (Simulation)
Innenansicht - Frontal (Simulation)
Innenansicht - Treppenhaus (Simulation)
Innenansicht - Treppenhaus (Simulation)

Origami-Kreuz entfaltet
Origami-Kreuz entfaltet
1. Faltung
1. Faltung
Origami-Kreuz nach 16 Faltungen
Origami-Kreuz nach 16 Faltungen


Außenansicht - Frontal (Simulation)
Außenansicht - Frontal (Simulation)
Simulation
Simulation

Skizzierte Gedanken der Gestaltungsidee (2021)

 

Mit der Konzeption für das Fenster im Marcel-Callo-Haus werden inhaltliche Überlegungen von Herrn Pfarrer Grohsmann aufgegriffen und neu interpretiert. Das gestaltete Fenster zeigt keine Bilder von Mittlern zwischen Gott und den Menschen. Sein Formenvokabular ist abstrakt, lässt sich aber in Kenntnis des Themas inhaltlich erschließen. Größtes Anliegen des Entwurfes ist es, dass die gestalteten Gläser die ihnen eigene Funktion erfüllen und ein verändertes, teils farbiges Licht in das Gebäude hineinleiten. Das neue Fenster soll hell, fröhlich und leicht wirken und den Nutzer:innen des Marcel-Callo-Hauses ermöglichen, in einem anderen Licht zu sein; es kann Inspirationsquelle sein, zum Nachdenken und Diskutieren anregen und einen Moment des Innehaltens bieten.

 

Das Fensterbild erzählt symbolisch von dem Weg aus der einengenden Bedrängnis in die offene Weite, die Zukunft und Hoffnung verspricht; vielleicht eine visionäre Hoffnung: » [...] gerade die bedrückte Gegenwart lebt von dem Hoffen auf das und dem Streben nach dem, was sein könnte.« [1] Dadurch deutet es auch auf Marcel Callo selbst. Papst Johannes Paul II. betont: »Sein Leben und Sterben sind Zeugnis des Glaubens und des Friedens zwischen den Völkern. Marcel Callo ist ein Vorbild und Fürsprecher für alle Christen, besonders für die junge Generation.« [2]

 

Wie Falten auf einem Papier wird in dem quadratischen Fensterfeld ein weißes ornamentales Gefüge aufgespannt. Die ornamentale Struktur zeichnet alle Linien der tatsächlichen Faltung eines quadratischen Papierbogens nach. Im Resultat würde die Figur der Taube als Symbol des Friedens entstehen. [3] Dabei ist es nicht wichtig, dass die spezifische Form auch wirklich erkannt oder illustriert wird. Es geht eher darum, den Dualismus von Materie und Geist anzuerkennen und als Ganzheit ins Material zu transformieren und eine gegenwartsbezogene Interpretation mit den Stilmitteln unserer Zeit zu schaffen; die gewohnte Darstellungskonvention wird daher vermieden.

 

In Analogie zu den bereits gestalteten Fenstern im Rochus Kindergarten bewegen sich Kreisformen über die Fläche. Sie memorieren alle Schritte, die bei der Faltung der Taube nötig sind und hebt sie als Andockpunkte farbig hervor, während horizontale und vertikale Mittellinien hintergründig das Kreuzzeichen bilden; für die Betrachterinnen und Betrachter christlichen Glaubens verweist es auf Jesus Christus, die Friedensspende Brücke von Gott zu uns Menschen. Je nach Belichtung und Betrachtungswinkel erinnern leuchtende Farbpunkte an die Farben des Regenbogens und an den alten Bund: »Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.« [4] Gott hat mit den Menschen Frieden geschlossen. Da der Friedenszustand unter uns Menschen jedoch nicht naturgegeben ist [5], müssen wir zuerst selbst zum Frieden kommen, um Förderer des Friedens sein zu können und die Friedensbemühungen auf dem Fundament des von Gott gewährten Friedens immer wieder neu initiiert werden. Der Fensterentwurf fasst diese Gedanken metaphorisch zusammen, akzentuiert dabei das Unvollendete, im Werden begriffene sowie das Aktivwerden als »ständige Herausforderung« und hebt damit das Credo des Trägerwerkes der Georgspfadfinder im übertragenen Sinn hervor: »Pfadfinden ist Tun.«[6] Ziel des Entwurfes ist es, eine konkrete Vielschichtigkeit zu skizzieren, die unabhängig von Herkunft und Religionszugehörigkeit aber auch offen genug für andere Sichtweisen und Interpretationen bleibt.

 

Raumwirkung/Technische Ausführung

 

Der zurückhaltenden Klarheit der Architektur wird bewusst eine Gestaltung gegenüber gestellt, die zum spielerischen Erleben einlädt, andererseits aber auch selbst legitimer Bestandteil einer strengen Formensprache ist. Das Thema Faltung/Entfaltung deutet sich im grafischen Bild an und wird durch differenzierte Licht- und Schattenbildung noch unterstützt. Die eigens gefaltete Papiervorlage wurde farbig markiert, bei unterschiedlichem Licht abfotografiert und digital aufbereitet. Durch einen mehrschichtigen opalisierenden Farbauftrag, der bei ca. 650° C dauerhaft in das Glas eingebrannt wird, entsteht die gewünschte Wirkung. Die schmalen Faltlinien bleiben ganz transparent, durchbrechen die diaphane Ebene, die an einen mehr oder minder durchscheinenden Vorhang erinnert. Das Licht wird durch die partiell weiß mattierten Gläser gefiltert und abgemildert.

 

Durch die farbigen, transparenten Kreisflächen wird eine Vielschichtigkeit erlebbar. Der Kontrast zwischen mattiertem und rein durchsichtigem Glas verstärkt dabei die Wirkung des Bildes. Im Unterschied zu den farbigen Antik-Gläsern in den Fenstern des Rochus Kindergartens, werden die Farbpunkte aus unterschiedlichen dichroitischen Gläsern [7] zugeschnitten und anschließend auflaminiert. Sie zeigen aus verschiedenen Richtungen je zwei Farben und spiegeln so das Regenbogen-Kolorit auf besondere Weise, befinden sich mal vor und mal hinter der mittleren Weiß-Ebene. Bei unterschiedlicher Beleuchtung spiegeln sie den Innenraum oder reflektieren das von Osten einfallende Tageslicht. Die Farben erscheinen in der Aufsicht und durchsichtig ganz unterschiedlich. Teilweise werden die Farbgläser von klaren Antik-Gläsern unterschiedlicher Struktur überlagert. Licht und Schatten bewegen sich konstant entsprechend der Tages- und Jahreszeiten. Bei Sonnenschein wandern einzelne Lichtlinien und Farbpunkte über Boden und Wände. Das gestaltete Fenster soll zu einer stimmungsvollen Lichtqualität beitragen. 

 

Anmerkungen

[1] http://www.ev.rub.de/mam/predigt_ab_in_die_zukunft.pdf, Predigt, Ev. Universitätsgottesdienst, Ruhr-Universität Bochum, 07. Mai 2019, »Gegenwart braucht Zukunft« (Offb 1,9-18), Dr. Jula Well, 28.02.2020

[2] Seligsprechung Callos durch Papst Johannes Paul II. am 4. Oktober 1987 in Rom

[3] EU60 Origami Taube

[4] 1. Mose 9,13

[5] Vgl. Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden – Ein philosophischer Entwurf, hg. v. M. Holzinger, Berliner Ausgabe, 2013, S. 9

[6] https://traegerwerk-der-georgspfadfinder.de/wp-content/uploads/2018/03/Das-Widumer-Tor-Projekt.pdf., Winfried Kurrath, Manuskript, Kultur und Heimat 2017, Das Widumer-Tor-Projekt, Neues Leben auf altem Kirchengrund, S. 12, 16.02.2020

[7] Dichroitisches Farbeffektglas (griech. dichroos = zweifarbig) verändert je nach Belichtung, Betrachtungswinkel und Hintergrund seine Farbe. Mehrere optische Interferenzschichten lassen das einfallende natürliche oder künstliche Licht in bestimmten Wellenlängen passieren. Andere Frequenzen werden reflektiert. Bei verändertem Blickwinkel wird aus Blau z. B. Gelb oder umgekehrt. Durch die Verwendung unterschiedlicher Gläser kann fast das gesamte Farbspektrum aus additiven Farben (Rot, Grün, Blau) und subtraktiven Farben (Gelb, Magenta, Cyan) durch die dichroitischen Filter sichtbar gemacht werden (siehe Abbildungen).